Das Pilgern ist seit einigen Jahren wieder so aktuell, dass manche der alten Pilgerwege regelrecht überlaufen sind. Wer den Jakobsweg nach Santiago de Compostela bereits gegangen ist, kann ein Lied davon singen – und trotz aller Beschwernisse scheint es viele nicht mehr loszulassen, das Gehen auf den alten Pfaden.
Auch Paul Burtscher, Pfarrer von Bildstein, hat sich auf den Weg gemacht, um vor seinem Amtsantritt in Bildstein für etwa vier Wochen eine Auszeit zu nehmen. Und um eine uralte religiöse Praxis zu pflegen. Das war im Jahr 2008, er begann seine Reise in Saint-Jean-Pied-de-Port am Fuße der Pyrenäen und wanderte etwa 800 KM nach Santiago de Compostela. Der gebürtige Fontaneller wurde nach der Lawinenkatastrophe geboren, bei der seine beiden erstgeborenen Brüder ums Leben gekommen waren. Nach seiner Ausbildung übernahm er zunächst die Pfarre in Gaschurn, wo er von Benno Elbs, damals Pastoralamtsleiter, gebeten wurde, ein Referat für Spiritualität aufzubauen. Der Titel lautete „Spirituelles Leben“ und beinhaltete unter anderem auch das Wiederentdecken und Sichtbarmachen der alten Pilgerwege in Vorarlberg als eine mögliche Form von Alltagsexerzitien.
„Das Pilgern geschah früher für einen bestimmten Zweck, entweder wollte man Buße tun oder ein Versprechen einlösen, oder einer Bitte Nachdruck zu verleihen. Damals war das Pilgern immer auch mit einem Ziel verbunden, es führte zu einem Ort, an dem dann eine Messe gefeiert wurde. Heute ist es eher der Weg, um den es geht – das Gehen, Entschleunigen, zu sich kommen. Das Ziel ist weniger wichtig“, sagt der erfahrene Pilger, der seither immer wieder Etappen des Jakobswegs in seinen Jahresablauf einplant. Heute allerdings mit kürzeren Wegstrecken, damit er seinen betagten Eltern beistehen kann. Dass er zu einer sozialen Aufgabe berufen war, wusste er schon als junger Mann, und er interessierte sich sowohl für Menschen als auch für philosophische Fragen. Jetzt steht er einer der schönsten Kirchen Vorarlbergs vor – und zusätzlich betreut er die Pfarre in Schwarzach. Bildstein war schon im Mittelalter ein berühmter Wallfahrtsort, dessen Beginn im Versprechen eines klugen Bauern lag, der Maria eine Kapelle schwor, sollten er und seine Familie die Wirren des 30-jährigen Krieges unbeschadet überstehen. Sie erschien den beiden jungen Söhnen des Bauern, um ihn an seinen Schwur zu erinnern. Er beeilte sich, die Kapelle an dem von Maria bestimmten Ort zu erbauen. Die Marienerscheinung führte zu Wallfahrten, die dann den Bau der frühbarocken Kirche erlaubten, ihr Grundstein wurde an der Stelle der Kapelle 1663 gelegt.
Die römisch-katholische Pfarr- und Wallfahrtskirche Bildstein steht im Ortszentrum der Gemeinde, vom Vorplatz aus überblickt man das gesamte Rheintal und den Bodensee. Sie trägt seit 2018 den Ehrentitel einer Basilika Minor.
Auch das Pfarrhaus, in dem Pfarrer Burtscher wohnt und arbeitet, hat historischen Wert. „Wir empfangen an die 100 Wallfahrtsgruppen im Jahr, das ist vergleichsweise sehr viel“, erzählt der Pfarrer und betont, dass man immer bei ihm klingeln könne…
„Wir spüren schon, dass Bildstein ein besonders anziehender Ort ist, gerade weil wir abgelegen sind und es still ist. Früher kam man selbstverständlich zur Messe, heute sehen sich die Leute eher die leere Kirche an. Wir besitzen ein Gnadenbild aus dem Jahre 1390, und seit der Renovation 2017 ist das Innere der Kirche besonders schön. Einige Gruppen nehmen nicht einmal Kontakt mit mir auf, das Pilgern heute entspricht eben auch der heutigen Autonomie.“
Das stört den belesenen Pfarrer aber nicht, er hat für jede Art des Pilgerns Verständnis, auch wenn die Biker auf den Elektromountainbikes kurz Halt machen, um ihrer spirituellen Seite Raum zu geben, bevor sie weiterziehen auf die nächsten Etappen ihrer Tour. Eine wieder belebte Wegstrecke führt seit 2012 von Wolfurt nach Bildstein – damals wurden 500 Jahre Pfarrgründung Wolfurt mit der Eröffnung des ICH BIN Weges gefeiert. Architekt Herbert Albrecht hat die Stelen entworfen, auf denen "Ich-bin-Worte" aus dem Johannes Evangelium zu lesen sind, als kleine Gedankenimpulse für unterwegs. Paul Burtscher empfiehlt durchaus Lektüre für das Pilgern, etwa die Psalmen, Rainer Maria Rilke, oder ähnlich Erbauliches. Außerdem gehört eine gute Gastronomie ebenso zum Pilgern, denn Leib und Seele sollen dabei wohl genährt sein. So entstanden entlang der Pilgerwege schon sehr früh die ersten Gaststätten und sorgten für die Verköstigung der müden Ankömmlinge. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Und was ist das Wertvollste, was er aus seiner Erfahrung unterwegs mitgenommen hat? „Das Vertrauen“, sagt Paul Burtscher. „Beim Gehen warten Unwägbarkeiten, man kann unmöglich alles vorausplanen. Man muss Müdigkeit und Schmerzen erdulden, Kälte, Hunger und Ungewissheit. Das tut uns gut, auch wenn es unbequem sein kann. Aus diesen Erfahrungen lernen wir wieder mehr Vertrauen, dass wir am Ende doch irgendwo eine Küche und ein warmes Bett finden werden. Dass Schmerzen uns nicht schaden und die Langsamkeit wichtig ist.“